Gefangen genommen und vor Gericht gestellt

Lektion 11, 3. Quartal 7-13 September, 2024.

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Sabbatnachmittag, 7. September

Gedächtnistext:

„und er sprach: abba, vater! Alles ist dir möglich; nimm diesen kelch von mir! Doch nicht, was ich will, sondern was du willst!markus 14:36


Die Gestalt Jesu Christi steht am Schnittpunkt zweier religiöser Ordnungen und ihrer jeweiligen Feste. Er, das makellose Lamm Gottes, war im Begriff, sich als Sündopfer darzugeben, und er wollte dadurch die Reihe der Sinnbilder und gottesdienstlichen Handlungen, die viertausend Jahre lang auf seinen Tod hingewiesen hatten, beschließen. Während er mit seinen Jüngern das Passahmahl nahm, setzte er an dessen Stelle den Dienst ein, der an sein großes Opfer erinnern sollte. Das rein jüdische Fest war damit für immer aufgehoben. Die gottesdienstliche Handlung, die Christus einsetzte, sollte von seinen Nachfolgern in allen Ländern der Erde und zu allen Zeiten befolgt werden. LJ 651.2

Durch die Lehren des Opferdienstes sollte Christus vor allen Völkern emporgehoben werden, und alle, die zu ihm aufblickten, sollten leben. Christus war die Grundlage der jüdischen Ordnung. Das gesamte System aus Vorbildern und Symbolen war eine geraffte Vorschau auf das Evangelium, eine Darstellung, mit der die Verheißung auf Erlösung verknüpft war. WA 13.2

Sonntag, 8. September

Unvergesslich


Lies Markus 14:1-11. Welche beiden Geschichten sind hier miteinander verwoben und wie wirken sie aufeinander ein?

„Jesus war in Bethanien bei Simon, dem Aussätzigen, zu Gast. Während des Essens trat eine Frau an Jesus heran. Sie hatte ein Fläschchen mit sehr wertvollem Salböl; das goss sie Jesus über den Kopf. Matthäus 26,6.7 (GNB). CS 246.1

Aus dieser Begebenheit können wir viel lernen. Für Jesus, den Erlöser der Welt, nahte sich der Zeitpunkt, an dem er sein Leben für die sündige Menschheit hingeben würde. Doch wie wenig erkannten seine Jünger, was sie bald verlieren sollten. Maria konnte dieses Thema nicht bloß vernunftmäßig durchdenken. Ihr Herz war von reiner, heiliger Liebe erfüllt. Ihre Herzensabsicht war: “Was kann ich dem Herrn für alle seine Wohltaten an mir wiedergeben?” Dieses Salböl, das nach Einschätzung der Jünger sehr teuer war (siehe Markus 14,5), konnte ihre Liebe zu ihrem Meister nur dürftig ausdrücken. Doch Christus schätzte dieses Geschenk als Ausdruck ihrer Liebe, und Marias Herz füllte sich mit vollkommenem Frieden und Glück. CS 246.2

Christus freute sich über das aufrichtige Verlangen Marias, den Willen ihres Herrn zu tun. Er nahm diesen Reichtum reiner Zuneigung gerne an, den seine Jünger nicht verstanden, ja, nicht verstehen konnten ... Die Salbung durch Maria war das Geschenk der Liebe, und diese Liebe verlieh ihr in den Augen Christi den eigentlichen Wert ... CS 246.3

Jesus bemerkte, wie Maria zurückzuckte, weil sie befürchtete, sie könnte von dem Einen getadelt werden, den sie so sehr liebte und anbetete. Stattdessen hört sie lobende Worte. Er sagte: “Warum kränkt ihr die Frau durch eure Vorwürfe? Sie hat etwas Gutes für mich getan. Arme werdet ihr immer bei euch haben, ich dagegen werde nicht mehr lange bei euch sein. Mit diesem Salböl hat sie meinen Leib für mein Begräbnis vorbereitet. Überall da, wo man in der Welt Gottes Heilsbotschaft verkünden wird, wird man auch von ihr sprechen und von dem, was sie an mir getan hat.” Matthäus 26,10-13 (Hfa). Das war die einzige Salbung, die Jesus empfing, denn [nach seinem Kreuzestod] stand der Sabbat vor der Tür, und sie hielten den Sabbat, so wie es im Gebot Gottes steht. Siehe Lukas 23,55.56 ... Das Verlangen, das Maria dazu trieb, ihrem Herrn diesen Dienst zu erweisen, war für Christus wertvoller als alle teuren Parfüms und kostbaren Salböle der Welt, denn damit zeigte sie, wie sehr sie den Erlöser der Welt schätzte. Es war die Liebe Christi, die sie drängte. Siehe 2.Korinther 5,14 ... CS 246.4

„Als Judas seinen Meister verriet, rechnete er nicht damit, dass Christus sich selbst entführen lassen würde. Wie oft hatte er gesehen, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer, als Jesus sie in Gleichnissen die Wahrheit lehrte, von den eindrucksvollen Figuren mitgerissen wurden. Als ihnen Fragen zur Entscheidung vorgelegt wurden, hatten sie das Urteil über sich selbst gefällt und den Weg verurteilt, den sie selbst verfolgten. Wie oft, wenn Christus das Wort auf ihre eigenen Herzen anwandte und ihnen zeigte, dass sie diejenigen waren, die Er vor dem Volk darstellte, hatte die schlichte Wahrheit, die nach Hause geschickt wurde, sie erzürnt und in ihrer Kränkung und Verrücktheit hatten sie Steine aufgehoben, um sie auf den Erlöser der Welt zu werfen! Wieder und wieder wäre Er getötet worden, wären da nicht die himmlischen Engel gewesen, die Ihm beistanden und Sein Leben bewahrten bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Fall der Juden als Nation entschieden werden sollte. Dieses menschliche Leben musste durch die Macht Gottes bewahrt werden, bis der Tag seines Wirkens beendet war. 12LtMs, Ms 28, 1897, par. 5

„Aber Judas dachte nicht in Übereinstimmung mit dem Plan Gottes. Wenn Christus so vielen Fallen entkommen konnte, um ihn zu vernichten, so dachte er, würde er sich sicher nicht von den Pharisäern und Sadduzäern gefangen nehmen lassen. Er, Judas, würde seinen Teil dazu beitragen, seinen Herrn zu verkaufen und seine Belohnung zu erhalten, während das Volk um sein Geld betrogen werden würde. Selbst bis zum Ende seiner Gemeinschaft mit den Jüngern ahnte Judas nichts von den bösen Absichten in seinem Herzen.“ 12LtMs, Ms 28, 1897, par. 6

Montag, 9. September

Das letzte Abendmahl


Lies Markus 14:22-31. Welche große Bedeutung für den christlichen Glauben hat dieser Bericht?

Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. Und nahm den Kelch und dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des neuen Testaments, das für viele vergossen wird. Wahrlich, ich sage euch, daß ich hinfort nicht trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis auf den Tag, da ich’s neu trinke in dem Reich Gottes.” Markus 14,22-25. LJ 652.3

Judas, der Verräter, nahm an dieser heiligen Handlung teil. Er empfing aus der Hand Jesu die Sinnbilder seines gebrochenen Leibes und seines vergossenen Blutes. Er hörte die Worte: “Solches tut zu meinem Gedächtnis.” 1.Korinther 11,23-26. Obgleich er in Jesu unmittelbarer Nähe saß, brütete der Verräter an seinen dunklen Absichten und nährte seine finsteren, rachsüchtigen Gedanken. LJ 652.4

Bei der Fußwaschung hatte Christus den eindeutigen Beweis gegeben, daß er den Charakter des Judas erkannte. “Ihr seid nicht alle rein” (Johannes 13,11), hatte er gesagt. Diese Worte überzeugten den falschen Jünger, daß Jesus von seinen geheimen Absichten wußte. Jetzt sprach Christus noch deutlicher. Als sie um den Tisch saßen, sagte er, und dabei blickte er seine Jünger an: “Nicht rede ich von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muß die Schrift erfüllt werden: ‘Der mein Brot isset, der tritt mich mit Füßen.’” Johannes 13,18. LJ 653.1

Obwohl Jesus den Verräter von Anfang an kannte, wusch er ihm die Füße, ja, dieser durfte sogar mit Christus an dem heiligen Mahl teilnehmen. Ein langmütiger Heiland bot dem Sünder jede Möglichkeit, ihn anzunehmen, zu bereuen und von der Befleckung durch die Sünde gereinigt zu werden. Darin liegt eine Lehre für uns. Wenn wir vermuten, daß sich jemand in Irrtum und Sünde befindet, sollen wir uns nicht von ihm zurückziehen. Wir dürfen ihn nicht durch eine gleichgültige Trennung der Versuchung als Opfer überlassen oder ihn auf Satans Schlachtfeld treiben. Das ist nicht Christi Art. Weil seine Jünger irrten und unvollkommen waren, wusch er ihnen die Füße und machte sie dadurch bis auf einen bereit zur Buße. LJ 655.2

Wenn wir das Brot und den Wein empfangen, die den zerbrochenen Leib und das vergossene Blut Christi versinnbilden, sind wir in Gedanken mit dem Geschehen im oberen Saal verbunden. Wir meinen dann durch den Garten Gethsemane zu gehen, der geweiht ist durch den Todeskampf Jesu, welcher unser aller Sünden trug. Wir sind Zeugen des Kampfes, der unsere Versöhnung mit Gott bewirkte. Wir sehen den gekreuzigten Heiland mitten unter uns. LJ 659.2

„Nach diesem Lobgesang gingen sie hinaus. Sie bahnten sich einen Weg durch die Menge, die auf den Straßen hin und her wogte, und gelangten durch das Stadttor in der Nähe des Ölberges hinaus ins Freie. Jeder tief in Gedanken versunken, wanderten sie langsam dahin. Als sie an den Ölberg kamen, sagte der Heiland bekümmert: “In dieser Nacht werdet ihr alle Ärgernis nehmen an mir. Denn es steht geschrieben: ‘Ich werden den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden sich zerstreuen.’” Matthäus 26,31. Traurig und bestürzt schwiegen die Jünger. Sie dachten daran, wie sich in der Synagoge zu Kapernaum, als Christus von sich als dem Brot des Lebens sprach, viele aufgebracht von ihm abgewandt hatten; sie aber waren ihm treu geblieben, und Petrus hatte im Namen aller ihre Ergebenheit bekundet. Darauf hatte der Herr erwidert: “Habe ich nicht euch Zwölf erwählt? Und euer einer ist ein Teufel.” Johannes 6,70. Und heute Abend hatte der Meister beim Passahmahl gesagt, daß einer der Zwölf ihn verraten und daß Petrus ihn verleugnen würde; jetzt aber schlossen seine Worte sie alle ein. LJ 672.2

Wieder war es Petrus, der dem Herrn mit leidenschaftlicher Stimme zurief: “Und wenn sie alle an dir Ärgernis nähmen, so doch ich nicht.” Markus 14,29. Oben im Saal hatte er sogar erklärt: “Ich will mein Leben für dich lassen.” Johannes 13,37. Jesus hatte ihm darauf erwidert, daß er seinen Heiland noch in derselben Nacht verraten würde. Jetzt wiederholte er seine Warnung: “Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe denn der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.” Petrus aber “redete noch weiter: Wenn ich auch mit dir sterben müßte, wollte ich dich nicht verleugnen. Desgleichen sagten sie alle”. Markus 14,30.31. In ihrem Selbstvertrauen widersprachen sie der wiederholten Feststellung dessen, der alle Dinge weiß. Auf eine Prüfung aber waren sie nicht vorbereitet; darum würden sie ihre Schwäche erst erkennen, wenn die Versuchung sie überraschte. LJ 672.3

Petrus meinte es mit jedem Wort aufrichtig, als er dem Herrn versprach, ihm in Gefangenschaft und Tod zu folgen; aber er kannte sich selbst zuwenig. In seinem Herzen verborgen, schlummerten noch böse Neigungen, die durch besondere Umstände leicht geweckt werden konnten und ihn unweigerlich dem ewigen Verderben überantworten würden, wenn man ihm nicht diese Gefahr deutlich zum Bewußtsein brächte. Jesus sah in ihm eine Eigenliebe und ein Selbstvertrauen, die sogar über seine Liebe zum Herrn hinausgehen würden. Viel Schwachheit, unbeherrschte Sünde, Achtlosigkeit des Geistes, Jähzorn und Sorglosigkeit gegenüber starken Versuchungen hatten die Erfahrungen des Petrus bestimmt. Jesu ernstes Mahnwort sollte ihn zur Selbstprüfung veranlassen. Petrus durfte sich nicht so sehr auf sich selbst verlassen, sondern sollte gläubiger dem Heiland anhangen. Hätte er die Warnung demütig angenommen, so würde er den Hirten der Herde gebeten haben, seine Schafe zu bewahren. Als er einst auf dem See Genezareth am Versinken war, hatte er nach dem Herrn gerufen: “Herr, hilf mir!” Und Christus hatte seine Hand ausgestreckt und ihn ergriffen. So wäre er auch jetzt bewahrt worden, wenn er seinen Heiland gebeten hätte: Hilf mir vor mir selber! Aber Petrus empfand Jesu Worte nur als Mißtrauen und fühlte sich gekränkt; sein Selbstvertrauen jedoch war nicht im geringsten erschüttert. LJ 672.4

Dienstag, 10. September

Gethsemane


Lies Markus 14:32-42. Was hat Jesus in Gethsemane gebetet und wie wurde sein Gebet erhört?

Wiederum wandte sich Jesus ab und ging an seinen Zufluchtsort zurück; von den Schrecken einer großen Finsternis überwältigt, fiel er zu Boden. Die menschliche Natur Jesu zitterte in dieser entscheidungsschweren Stunde; er betete jetzt nicht für seine Jünger, daß ihr Glaube nicht wankend werden möge, sondern für seine eigene geprüfte und gemarterte Seele. Der schreckliche Augenblick war gekommen, jene Stunde, die das Schicksal der Welt entscheiden sollte. Das Geschick der Menschenkinder war noch in der Schwebe. Noch konnte sich Christus weigern, den für die sündige Menschheit bestimmten Kelch zu trinken; noch war es nicht zu spät. Jesus konnte sich immer noch den blutigen Schweiß von seiner Stirn wischen und den Menschen in seiner Gottlosigkeit verderben lassen. Er konnte sagen: Laß den Übertreter die Strafe seiner Schuld empfangen; ich will zurückgehen zu meinem Vater im Himmel. Will der Sohn Gottes den bitteren Kelch der Erniedrigung und des Leidens bis zur Neige leeren? Will er, der unschuldig war, die Folgen des Fluches der Sünde erleiden, um die Schuldigen zu retten? Von den bleichen Lippen Jesu fielen — stammelnd — die Worte: “Mein Vater, ist’s nicht möglich, daß dieser Kelch an mir vorübergehe, ich trinke ihn denn, so geschehe dein Wille!” Matthäus 26,42. LJ 688.1

Dreimal hatte Jesus so gebetet; dreimal war das Menschliche in ihm vor dem letzten, krönenden Opfer zurückgeschreckt. Nun zieht im Geiste noch einmal die ganze Geschichte des Menschengeschlechtes an dem Welterlöser vorüber. Er sieht den Gesetzesbrecher untergehen, wenn dieser sich auf sich selbst verläßt; er sieht die Hilflosigkeit der Menschen und die Macht der Sünde. Das Elend und die Klagen einer verurteilten Welt steigen vor ihm auf, er erkennt deren drohendes Geschick, und — sein Entschluß ist gefaßt. Er will die Menschen retten, koste es, was es wolle. Er nimmt die Bluttaufe an, damit Millionen Verdammter das ewige Leben gewinnen können. Er hatte die himmlischen Höfe, wo Reinheit, Freude und Herrlichkeit herrschten, verlassen, um das eine verlorene Schaf — die durch Übertretung gefallene Welt — zu retten. Er will sich seiner Aufgabe nicht entziehen. Er wird dem der Sünde verfallenen Geschlecht die Versöhnung ermöglichen. Sein Gebet nun ist Ergebung in sein Schicksal: “So geschehe dein Wille!” LJ 688.2

„Nach dieser Entscheidung fiel er wie tot zu Boden, von dem er sich halb aufgerichtet hatte. Wo waren jetzt seine Jünger, um liebevoll ihre Hände unter das Haupt des ohnmächtigen Erlösers zu legen, um jene Stirn zu netzen, die stärker zerfurcht war als bei den Menschen sonst? Der Heiland trat die Kelter allein, und niemand unter den Völkern war bei ihm. Jesaja 63,3. LJ 689.1

Aber der Vater im Himmel litt mit seinem Sohn, und die Engel waren Zeugen seiner Qualen. Sie sahen ihren Herrn inmitten von Legionen satanischer Kräfte, niedergebeugt von schauderndem, geheimnisvollem Entsetzen. Im Himmel herrschte tiefe Stille; kein Harfenklang ertönte. Hätten Sterbliche die Bestürzung der Engelscharen wahrgenommen, als diese in stillem Schmerz beobachteten, wie der himmlische Vater seinem geliebten Sohn die Strahlen des Lichts, der Liebe und der Herrlichkeit entzog, dann würden sie besser verstehen, wie verhaßt in seinen Augen die Sünde ist. LJ 689.2

Die nicht gefallenen Welten und die himmlischen Engel hatten mit größter Anteilnahme zugeschaut, wie der Kampf sich seinem Ende näherte. Auch Satan und seine Verbündeten, Legionen der Abtrünnigen, beobachteten aufmerksam diese Stunde der Entscheidung im ganzen Heilsgeschehen. Die Mächte des Guten und des Bösen hielten sich zurück, um zu sehen, wie die Antwort auf Jesu dreimalige Bitte lautete. Die Engel hatten sich danach gesehnt, dem göttlichen Dulder Hilfe zu bringen, aber das durfte nicht geschehen. Es gab kein Entrinnen für den Sohn Gottes. In dieser furchtbaren Krise, da alles auf dem Spiel stand, da der geheimnisvolle Kelch in den Händen Jesu zitterte, öffnete sich der Himmel, und ein Licht durchbrach das unruhige Dunkel dieser entscheidungsschweren Stunde; der Engelfürst, der anstelle des ausgestoßenen Satans in der Gegenwart Gottes seinen Platz hat, trat an Jesu Seite. Der Engel kam nicht, um Christus den Leidenskelch aus der Hand zu nehmen, sondern um ihn durch die Versicherung der Liebe des Vaters zu stärken, den Kelch zu trinken. Er kam, um dem göttlich-menschlichen Bittsteller Kraft zu spenden. Er zeigte ihm den offenen Himmel und sprach zu ihm von den Seelen, die durch sein Leiden gerettet würden. Er gab ihm die Gewißheit, daß sein Vater im Himmel größer und mächtiger ist als Satan, daß sein Tod die vernichtendste Niederlage Satans bedeutet und daß das Königreich dieser Welt den Heiligen des Allerhöchsten gegeben werden wird. Er erzählte ihm, daß “er das Licht schauen und die Fülle haben” werde, “weil seine Seele sich abgemüht hat” (Jesaja 53,11), denn eine große Schar auf ewig Erlöster würde für ihn zeugen. LJ 689.3

Christi Seelenschmerz hörte nicht auf; aber die Niedergeschlagenheit und Entmutigung verließen ihn. Der Sturm in seiner Seele hatte keineswegs nachgelassen; aber Christus, gegen den sein Wüten gerichtet war, fühlte sich gekräftigt, ihm zu widerstehen. Ruhig und gefaßt ging er aus dem Kampf hervor; himmlischer Friede ruhte auf seinem Angesicht. Er hatte erduldet, was kein menschliches Wesen jemals würde ertragen können; denn er hatte die Leiden des Todes für alle Menschen durchlebt. LJ 690.1

Mittwoch, 11. September

Alles zurücklassen, und von Jesus wegzulaufen


Lies Markus 14:43-52. Was geschieht hier, das so entscheidend für den Heilsplan ist?

Traurig blickt er auf die Schlafenden und spricht zu ihnen: “Ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, daß des Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird.” LJ 690.3

Noch während er diese Worte sprach, hörte er die Schritte derer, die ihn suchten, und er fügte hinzu: “Stehet auf, laßt uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.” Matthäus 26,45.46. LJ 690.4

Jesus zeigte keinerlei Spuren mehr des eben überstandenen inneren Ringens, als er dem Verräter entgegentrat. Allein vor seinen Jüngern stehend, sagte er: “Wen suchet ihr?” Sie antworteten: “Jesus von Nazareth.” Da sprach Jesus zu ihnen: “Ich bin’s!” Johannes 18,4.5. In diesem Augenblick trat der Engel, der Jesus kurz zuvor erst gedient hatte, zwischen ihn und die Schar der Häscher. Göttliches Licht erhellte Jesu Angesicht, und ein taubenähnlicher Schatten fiel auf seine Gestalt. Die Gegenwart dieser himmlischen Herrlichkeit konnten die Mordgesellen nicht ertragen; sie wichen zurück, und Priester, Älteste, Soldaten, selbst Judas, sanken wie tot zu Boden. LJ 690.5

Der Engel zog sich zurück, und das Licht verblaßte. Jesus hatte die Möglichkeit zu fliehen, doch er blieb, gelassen und seiner selbst gewiß. Wie ein Verklärter stand er inmitten dieser hartgesottenen Schar, die jetzt niedergestreckt und hilflos zu seinen Füßen lag. Die Jünger blickten schweigend, scheu und verwundert auf das Geschehen vor ihren Augen. LJ 691.1

Doch das Bild änderte sich schnell. Die Häscher sprangen auf; die römischen Soldaten, die Priester und Judas umringten Christus. Sie schienen sich ihrer Schwäche zu schämen und fürchteten, er würde ihnen entrinnen. Da wiederholte Jesus nochmals die Frage: “Wen suchet ihr?” Sie hatten zwar schon einen ausreichenden Beweis dafür erhalten, daß der, der vor ihnen stand, der Sohn Gottes war, aber sie wollten sich nicht überzeugen lassen. Auf die Frage: “Wen suchet ihr?” antworteten sie wiederum: “Jesus von Nazareth.” Johannes 18,7. Der Heiland sagte darauf: “Ich habe es euch gesagt, daß ich’s bin. Suchet ihr denn mich, so lasset diese gehen!” (Johannes 18,8) — und zeigte auf seine Jünger. Er kannte ihren schwachen Glauben und wünschte sie vor Versuchungen und Anfechtungen zu bewahren. Er war bereit, sich für sie zu opfern. LJ 691.2

Judas, der Verräter, vergaß seine Absicht nicht. Als die Häscher den Garten betraten, hatte er sie angeführt, dicht gefolgt von dem Hohen Priester. Mit den Verfolgern Jesu hatte er ein Zeichen vereinbart und zu ihnen gesagt: “Welchen ich küssen werde, der ist’s; den greifet.” Matthäus 26,48. Jetzt tat er so, als habe er mit ihnen gar keine Verbindung. Er ging auf den Herrn zu, ergriff freundschaftlich seine Hand, küßte ihn wiederholt mit den Worten: “Gegrüßet seist du, Rabbi!” und gab sich den Anschein, als weine er aus Mitleid mit ihm in dessen gefahrvoller Lage. LJ 691.3

Jesus sprach zu ihm: “Mein Freund, warum bist du gekommen?” Seine Stimme zitterte vor Wehmut, als er hinzufügte: “Judas, verrätst du des Menschen Sohn mit einem Kuß?” Matthäus 26,49.50; Lukas 22,48. Diese Worte hätten das Gewissen des Verräters wachrütteln und sein verstocktes Herz anrühren müssen, aber Ehre, Treue und menschliches Empfinden hatten ihn verlassen. Dreist und herausfordernd stand er da, und er ließ durch nichts erkennen, daß er bereit war, nachzugeben. Er hatte sich Satan verschrieben und war völlig unfähig, ihm zu widerstehen. Jesus aber wies nicht einmal den Kuß des Verräters zurück. LJ 691.4

Der Pöbel wurde kühn, als er sah, daß Judas den berührte, der soeben vor ihren Augen verklärt worden war. Sie ergriffen den Heiland und begannen die teuren Hände, die nur Gutes getan hatten, zu fesseln. LJ 692.1

Die Jünger hatten nicht gedacht, daß sich ihr Meister gefangennehmen ließe. Die gleiche Macht, die die Verfolger wie tot zu Boden gestreckt hatte, konnte diese doch so lange zur Hilflosigkeit verurteilen, bis sie und ihr Meister gerettet wären. Sie waren enttäuscht und aufgebracht, als sie die Stricke sahen, mit denen die Hände dessen gebunden werden sollten, den sie liebten. Petrus zog in seinem Zorn rasch sein Schwert und wollte seinen Meister verteidigen; er traf den Diener des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab. Als Jesus sah, was geschehen war, befreite er seine Hände aus der Gewalt der römischen Soldaten, sagte: “Haltet ein! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.” Lukas 22,51. LJ 692.2

Die Jünger waren sehr erschrocken, als sie sahen, daß Jesus sich seinen Feinden auslieferte. Sie ärgerten sich, daß er diese Demütigung über sich und über sie brachte; sie konnten sein Verhalten nicht verstehen und tadelten ihn, daß er sich dem Mob unterwarf. In ihrer Furcht und Entrüstung schlug Petrus vor, daß sie sich selbst retteten, und auf seine Eingebung hin “verließen ihn alle und flohen”. Markus 14,50. Doch Jesus hatte ihre Flucht vorausgesehen. “Siehe”, so hatte er gesagt, “es kommt die Stunde und ist schon gekommen, daß ihr zerstreut werdet, ein jeglicher in das Seine, und mich allein lasset. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.” Johannes 16,32. LJ 693.2

Donnerstag, 12. September

Wer bist Du?


Lies Markus 14:60-72. Vergleichen Sie, wie Jesus auf die Ereignisse reagierte, im Gegensatz zu dem, was Petrus tat. Welche Lehren können wir aus dem Unterschied ziehen?

Schließlich erhob Kaiphas seine rechte Hand zum Himmel und drang in Jesus: “Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du seist der Christus, der Sohn Gottes.” Matthäus 26,63. LJ 701.2

Auf diese Frage mußte Jesus antworten. Es gibt eine Zeit zu schweigen, aber es gibt auch eine Zeit zu reden. Er hatte nicht gesprochen, bis er direkt gefragt wurde. Er wußte, daß diese Frage zu beantworten seinen Tod besiegeln würde; doch diese Aufforderung wurde von dem Vertreter der höchsten Obrigkeit des jüdischen Volkes und im Namen des Allerhöchsten an ihn gerichtet. Christus wollte nicht versäumen, dem Gesetz den schuldigen Respekt zu erweisen; darüber hinaus war seine ganze Beziehung zu seinem himmlischen Vater in Zweifel gezogen. Er mußte nun unmißverständlich sein Amt und seinen Auftrag bekennen; denn einst hatte er seinen Jüngern erklärt: “Wer nun mich bekennet vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.” Matthäus 10,32. Jetzt bekräftigte er diese Lehre durch sein eigenes Beispiel. LJ 701.3

“Von nun an wird’s geschehen”, sagte Jesus, “daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.” Matthäus 26,64. Mit diesen Worten schilderte Jesus das Gegenteil der gegenwärtigen Lage. Er, der Herr des Lebens und aller Herrlichkeit, wird zur Rechten des Allerhöchsten sitzen und über die Erde richten. Gegen seine Entscheidung kann es keine Berufung geben. Dann werden alle Geheimnisse im Licht der Gegenwart Gottes offenbar, und über jeden Menschen wird das Urteil gesprochen werden nach seinen Werken. LJ 702.1

Der Priester fand aus jenem Geschehen wieder in die Wirklichkeit zurück. Christi Worte hatten ihn, den Sadduzäer, bis ins Innerste getroffen. Er hatte die Lehre von der Auferstehung, dem Gericht und dem zukünftigen Leben geleugnet. Nun wurde er von satanischer Wut befallen. Sollte dieser Mann, ein Gefangener, seine vornehmsten Lehren angreifen? Er zerriß sein Kleid, damit alle Anwesenden seine angebliche Erregung wahrnehmen konnten, und forderte, den Gefangenen ohne weitere Verhandlungen wegen Gotteslästerung zu verurteilen. “Was bedürfen wir weiter Zeugnis?” rief er. “Siehe, jetzt habt ihr seine Gotteslästerung gehört. Was dünkt euch?” Matthäus 26,65.66. Da sprachen sie ihn alle des Todes schuldig. LJ 702.3

Als Kaiphas sein Gewand zerriß, zeigte diese Handlung an, welche Position die Juden als Volk Gott gegenüber einnehmen würden. Das einst begünstigte Volk Gottes trennte sich von ihm und wurde bald eine Nation, zu der Jahwe sich nicht mehr bekannte. Als Christus am Kreuz ausrief: “Es ist vollbracht!” und der Vorhang im Tempel zerriß, erklärte der heilige Wächter, daß das jüdische Volk den verworfen hatte, der das Vorbild ihres ganzen Gottesdienstes, das Wesen aller ihrer “Schatten” war. Israel war von Gott geschieden. Kaiphas mochte wohl sein Amtsgewand zerreißen, das ihn als Repräsentanten des großen Hohenpriesters auswies; denn es hatte von nun an keine Bedeutung mehr für ihn und sein Volk. Durchaus mit Recht konnte der Hohepriester aus Entsetzen vor sich und seinem Volk sein Kleid zerreißen. LJ 704.2

„Petrus hatte sich nicht zu erkennen geben wollen. Indem er sich jetzt gleichgültig stellte, begab er sich auf den Boden des Feindes und wurde eine leichte Beute der Versuchung. Wäre er berufen worden für seinen Meister zu kämpfen, er wäre bestimmt ein tapferer Streiter gewesen. Als man aber mit Verachtung auf ihn schaute, erwies er sich als Feigling. Viele, die den offenen Kampf für ihren Herrn nicht scheuen, werden durch Spott und Hohn dahin gebracht, ihren Glauben zu verleugnen. Durch den Umgang mit Menschen, die sie meiden sollten, lassen sie sich auf den Weg der Versuchung locken. Sie fordern den Feind geradezu heraus, sie zu verführen, und sie sagen und tun schließlich das, woran sie unter anderen Umständen niemals schuldig geworden wären. Der Nachfolger Christi, der in unseren Tagen seinen Glauben aus Furcht vor Leiden und Schmähungen nicht frei bekennt, verleugnet seinen Herrn genauso wie einst Petrus auf dem Hofe des Gerichtshauses. LJ 706.2

Noch während die herabsetzenden Schwüre aus dem Munde des Petrus kamen und das schrille Krähen des Hahnes in dessen Ohren klang, wandte sich Jesus von den finster blickenden Richtern ab und schaute seinen armen Jünger voll an. Im gleichen Augenblick fühlten sich auch des Petrus Augen zu seinem Meister hingelenkt. Jesu Angesicht drückte tiefes Mitleid und großen Kummer aus; kein Zorn war in ihm zu lesen. LJ 707.2

Der Anblick jenes bleichen, gequälten Antlitzes, jener bebenden Lippen und jener erbarmenden und vergebenden Züge drang ihm gleich einem Stachel tief ins Herz. Das Gewissen war erwacht, die Erinnerung wurde lebendig. Petrus dachte an sein vor wenigen Stunden gegebenes Versprechen, seinen Herrn ins Gefängnis, ja sogar in den Tod zu begleiten. Er erinnerte sich seines Kummers, als der Heiland ihm beim Abendmahl erzählte, daß er ihn noch in dieser Nacht dreimal verleugnen würde. Eben erst hatte er erklärt, Jesus nicht zu kennen, doch nun wurde ihm in bitterem Schmerz bewußt, wie gut der Herr ihn kannte und wie genau er in seinem Herzen jene Falschheit gelesen hatte, die ihm selbst unbekannt geblieben war. LJ 707.3

Freitag, 13. September

Weiterführendes Studium

Als das Urteil gegen Jesus von den Richtern verkündet war, bemächtigte sich des Volkes eine satanische Wut. Das Geschrei ihrer Stimmen glich dem Brüllen wilder Tiere. Die Menge stürzte auf den Herrn zu und rief: “Er ist es Todes schuldig.” Matthäus 26,66. Wären nicht die römischen Soldaten gewesen, Jesus hätte nicht mehr lebendig ans Kreuz geschlagen werden können. Er wäre vor seinen Richtern zerrissen worden, würden nicht die Römer dazwischengetreten sein und mit Waffengewalt die Ausschreitungen des Pöbels verhindert haben. LJ 710.1

Heidnische Männer ärgerten sich über die brutale Behandlung dessen, dem keine Schuld hatte nachgewiesen werden können. Die römischen Offiziere erklärten, die Juden hätten mit der Verurteilung Jesu nicht nur gegen die römische Macht verstoßen, sondern auch gegen das jüdische Gesetz, das eindeutig verbiete, einen Menschen auf Grund seiner eigenen Aussage zum Tode zu verurteilen. Dieser Einwand ließ die Verhandlungen vorübergehend ins Stocken geraten, doch die jüdischen Obersten fühlten weder Schande noch Scham. LJ 710.2

Priester und Oberste vergaßen die Würde ihres Amtes und beleidigten den Sohn Gottes durch gemeine Redensarten. Sie verhöhnten ihn wegen seiner Geburt, und sie erklärten, daß seine Anmaßung, sich selbst als Messias auszugeben, den schimpflichsten Tod verdient hätte. Die wüstesten Gesellen waren dabei, den Heiland auf infame Weise zu mißhandeln. Ein altes Gewand wurde über seinen Kopf geworfen, und seine Verfolger schlugen ihn ins Gesicht und riefen dabei: “Weissage uns, Christe, wer ist’s der dich schlug?” Matthäus 26,68. Als ihm das Tuch wieder abgenommen wurde, spie ein heruntergekommener Bösewicht dem Herrn ins Angesicht. LJ 710.3

Die Engel Gottes verzeichneten gewissenhaft jeden beleidigenden Blick, jedes Wort und jede Tat, die gegen ihren Herrn gerichtet waren. Einst werden alle, die das stille, bleiche Antlitz Christi verhöhnten und besudelten, dieses Antlitz in einer Herrlichkeit erblicken, die glanzvoller leuchtet als die Sonne. LJ 710.4