Vor Gericht gestellt und gekreuzigt

Lektion 12, 3. Quartal, 14-20. September 2024.

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Sabbatnachmittag, 14. September

Gedächtnistext:

„Und um die neunte Stunde rief Jesus mit lauter Stimme und sprach: Eloi, Eloi, lama sabachthani? Das heißt übersetzt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Markus 15:34


„Der Erlöser gab keinen Laut der Klage von sich. Sein Gesicht blieb ruhig und gelassen, aber große Schweißtropfen standen auf seiner Stirn.... Während die Soldaten ihre furchtbare Arbeit verrichteten, betete Jesus für seine Feinde: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“.... CSA 37.4

„Dieses Gebet Christi für seine Feinde umfasste die ganze Welt. Es umfasste jeden Sünder, der gelebt hatte oder leben sollte, vom Anfang der Welt bis zum Ende der Zeit. Auf allen ruht die Schuld, den Sohn Gottes gekreuzigt zu haben. Allen wird die Vergebung frei angeboten. „Jeder, der will, kann Frieden mit Gott haben und das ewige Leben erben. CSA 37.5

„Sobald Jesus an das Kreuz genagelt war, wurde er von starken Männern hochgehoben und mit großer Gewalt an den dafür vorbereiteten Ort gestoßen. Dies verursachte dem Sohn Gottes die größten Qualen. Dann schrieb Pilatus eine Inschrift auf Hebräisch, Griechisch und Latein und brachte sie über dem Kopf von Jesus am Kreuz an. Sie lautete: „Jesus von Nazareth, der König der Juden“. .... CSA 37.6

„Die Vorsehung Gottes wollte, dass dies zum Nachdenken und zur Untersuchung der Heiligen Schrift anregt. Der Ort, an dem Christus gekreuzigt wurde, lag in der Nähe der Stadt. Tausende von Menschen aus allen Ländern waren zu dieser Zeit in Jerusalem, und die Inschrift, die Jesus von Nazareth zum Messias erklärte, sollte ihnen zu Ohren kommen. Es war eine lebendige Wahrheit, niedergeschrieben von einer Hand, die Gott geführt hatte....“ CSA 37.7

Sonntag, 15. September

Bist du der König der Juden?


Lies Markus 15:1-15. Welche Art von ironischer Situation kommt hier vor?

Pilatus war weder ein gerechter noch ein gewissenhafter Richter. Obwohl in seiner inneren Haltung schwankend, weigerte er sich dennoch, diese Bitte zu gewähren. Er wollte Jesus nicht verurteilen, bis eine Anklage gegen ihn erhoben worden wäre. LJ 722.3

Die Priester gerieten in große Verlegenheit. Sie mußten ihre Heuchelei unter einem undurchdringlichen Deckmantel verbergen und durften keinesfalls den Anschein erwecken, als sei Jesus aus religiösen Gründen festgenommen worden. Eine solche Beweisführung würde der Römer nicht anerkennen. Sie mußten vielmehr glaubhaft machen, daß sich Jesus gegen die Staatsgesetze vergangen habe; dann erst konnte er als politischer Verbrecher bestraft werden. Aufruhr und Widerstand gegen die römische Staatsgewalt waren bei den Juden an der Tagesordnung. Die Römer griffen in solchen Fällen hart durch, und sie waren darauf bedacht, jeden Aufstand im Keime zu ersticken. LJ 722.4

Erst wenige Tage zuvor hatten die Pharisäer versucht, dem Herrn eine Falle zu stellen, indem sie ihn fragten: “Ist’s recht, daß wir dem Kaiser Steuer geben, oder nicht?” Lukas 20,22. Jesus aber hatte ihre Heuchelei durchschaut. Einigen Römern, die dabeistanden, war der deutliche Fehlschlag in den Bemühungen der Verschwörer und deren Unbehagen bei Jesu Antwort nicht entgangen; denn Jesus hatte ihnen gesagt: “Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!” Lukas 20,25. LJ 723.1

Jetzt wollten die Priester es so darstellen, als hätte Jesus bei dieser Gelegenheit das gelehrt, was sie zu hören gehofft hatten. In höchster Verlegenheit riefen sie falsche Zeugen zu Hilfe und “fingen an, ihn zu verklagen, und sprachen: Diesen haben wir gefunden, wie er unser Volk abwendig macht und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben, und spricht, er sei Christus, ein König”. Lukas 23,2. Das waren drei Anklagen, alle drei ohne jede Grundlage. Die Priester waren sich darüber durchaus im klaren, doch sie waren sogar bereit, einen Meineid zu leisten, wenn sie damit ihr Ziel erreichen konnten. LJ 723.2

Pilatus aber durchschaute ihre Absichten. Er glaubte nicht, daß der Gefangene sich gegen den Staat aufgelehnt hatte. Dessen ruhiges und bescheidenes Wesen stimmte ganz und gar nicht mit den Anklagepunkten überein. Pilatus war davon überzeugt, daß es sich hier um eine niederträchtige Verschwörung handelte, um einen unschuldigen Menschen zu vernichten, der den jüdischen Würdenträgern im Wege stand. Er wandte sich an Jesus und fragte: “Bist du der Juden König?” Der Heiland aber antwortete: “Du sagst es.” Matthäus 27,11. Bei diesen Worten hellte sich sein Angesicht auf, als ob ein Sonnenstrahl darauf schiene. LJ 723.3

Als Kaiphas und seine Begleiter diese Antwort vernahmen, riefen sie Pilatus zum Zeugen dafür auf, daß Jesus das Verbrechen bekannt hätte, dessen er angeklagt wurde. Unter lärmenden Zurufen forderten Priester, Schriftgelehrte und Oberste das Todesurteil. Diese Rufe wurden vom Volk aufgenommen, und es entstand ein ohrenbetäubendes Geschrei. Das alles verwirrte Pilatus. Als er sah, daß Jesus seinen Anklägern nicht erwiderte, sagte er zu ihm: “Antwortest du nichts? Siehe, wie hart sie dich verklagen!”— “Jesus aber antwortete nichts mehr.” Markus 15,4.5. LJ 723.4

Montag, 16. September

Gegrüßet seist du, der Juden König!


Lies Markus 15:15-20. Was taten die Soldaten mit Jesus und welche Bedeutung hat das?

„Jesus, ermattet, schwach und mit Wunden bedeckt, wurde gepackt und vor den Augen der Menge gegeißelt. “Die Kriegsknechte aber führten ihn hinein in die Burg, das ist ins Richthaus, und riefen zusammen die ganze Schar, und sie zogen ihm einen Purpur an und flochten eine Dornenkrone und setzen sie ihm auf und fingen an, ihn zu grüßen: Gegrüßet seist du, der Juden König! Und ... spien ihn an und fielen auf die Knie und huldigten ihm.” Markus 15,16-19. Von Zeit zu Zeit ergriffen einige Boshafte das Rohr, das man Jesus in die Hand gegeben hatte, und schlugen damit auf die Krone, die seine Stirn drückte, so daß die Dornen in seine Schläfen drangen und das Blut an Wangen und Bart herabtropfte. LJ 733.2

Wundere dich, Himmel! Und staune, Erde! Seht die Unterdrücker und den Unterdrückten! Eine wutentbrannte Menschenmenge umringt den Heiland der Welt! Spott und Hohn mischen sich mit groben Flüchen und Lästerungen. Seine einfache Herkunft und sein demütiges Leben werden von dem gefühllosen Pöbel als Anlaß zur Kritik genommen. Sein Anspruch, der Sohn Gottes zu sein, wird ins Lächerliche gezogen, und gemeine Scherze und kränkender Hohn machen die Runde. LJ 733.3

Satan führte diese unbarmherzige, den Heiland beschimpfende Schar selbst an. Es war seine Absicht, den Herrn, wenn möglich, zu einem Vergeltungsschlag zu reizen oder ihn dazu zu bewegen, zu seiner Befreiung ein Wunder zu wirken und auf diese Weise den Erlösungsplan zunichte zu machen. Ein einziger Makel auf Jesu Leben, ein einmaliges Versagen seiner menschlichen Natur beim Ertragen dieser furchtbaren Prüfung würde genügen, aus dem Lamm Gottes ein unvollkommenes Opfer zu machen und die Erlösung der Menschheit zu vereiteln. Aber er, der auf einen Befehl hin die himmlischen Heerscharen hätte zu Hilfe rufen können, er, der durch eine Offenbarung seiner göttlichen Majestät die Menge hätte veranlassen können, in panischem Schrecken vor seinem Angesicht zu fliehen — er unterwarf sich in vollkommenem Schweigen den häßlichsten Beschimpfungen und Ausschreitungen. LJ 733.4

Satans Zorn wuchs, als er erkennen mußte, daß alle gegen den Heiland gerichteten Schmähungen auch nicht die geringste Äußerung aus seinem Munde erzwingen konnten. Obwohl Jesus die menschliche Natur angenommen hatte, wurde er durch eine göttliche Kraft unterstützt und wich in keinem Fall von dem Willen seines Vaters ab. LJ 734.2

Als Pilatus Jesus der Geißelung und Verspottung auslieferte, meinte er, damit das Mitleid der Volksmenge wecken zu können. Er hoffte, sie würde entscheiden, daß diese Bestrafung genüge. Selbst der Haß der Priester würde nun befriedigt sein, so dachte er. Aber die Juden erkannten sehr deutlich, wie haltlos eine solche Bestrafung eines Mannes sein mußte, der als unschuldig erklärt worden war. Sie durchschauten den Versuch des Pilatus, das Leben des Gefangenen zu retten, und waren fest entschlossen, eine Freilassung Jesu zu verhindern. Um uns einen Gefallen zu tun und uns zufriedenzustellen, hat Pilatus ihn geißeln lassen, so dachten sie. Wir müssen nur mit allem Nachdruck unser Ziel anstreben, dann werden wir es am Ende auch erreichen. LJ 734.3

Pilatus ließ jetzt Barabbas zum Richthaus holen. Dann stellte er die beiden Gefangenen nebeneinander und sagte mit ernster Stimme, indem er auf Jesus deutete: “Sehet, welch ein Mensch!” “Sehet, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennet, daß ich keine Schuld an ihm finde.” Johannes 19,4.5. LJ 734.4

Dienstag, 17. September

Die Kreuzigung


Lies Markus 15:21-38. Welche schreckliche und schmerzhafte Ironie kommt in diesen Passagen vor?

Als Jesus das Tor des Gerichtshauses durchschritten hatte, wurde das für Barabbas vorbereitete Kreuz auf seine wunden und blutenden Schultern gelegt… Dem Heiland war diese Last infolge seines geschwächten und leidenden Zustandes zu schwer; denn er hatte seit dem Passahmahl mit seinen Jüngern weder Speise noch Trank zu sich genommen. LJ 741.4

Die Menge, die dem Heiland folgte, sah seine kraftlosen, taumelnden Schritte, aber sie half ihm nicht, sondern sie verhöhnte und verspottete ihn, weil er das schwere Kreuz nicht tragen konnte. Aufs neue legte man die Bürde auf ihn, und wieder fiel er entkräftet zu Boden. Da erkannten seine Peiniger, daß es für ihn unmöglich war, die Last noch weiter zu tragen. Sie waren darum verlegen, wer die unwürdige Last tragen sollte. Ein Jude durfte es nicht tun; denn die damit verbundene Verunreinigung hätte ihn vom Passahmahl ausgeschlossen. Selbst von der nachfolgenden Menge würde sich niemand so weit erniedrigen, das Kreuz zu tragen. LJ 742.1

Da begegnete ein Fremder, Simon von Kyrene, der vom Lande hereinkam, jener großen Schar. Er vernahm die spöttischen und lästerlichen Reden der Menge; er hörte, wie immerzu verächtlich gerufen wurde: Platz für den König der Juden! Bestürzt betrachtete er dieses Geschehen, und als er sein Mitgefühl mit Christus äußerte, ergriff man ihn und legte das Kreuz des Herrn auf seine Schultern. LJ 742.2

Simon hatte schon von Jesus gehört. Seine Söhne glaubten an den Heiland; aber er selbst gehörte nicht zu den Jüngern. Das Tragen des Kreuzes nach Golgatha jedoch wurde ihm zum Segen, und er ist später immer für diese Fügung dankbar gewesen. Sie war der Anlaß, daß er das Kreuz Christi freiwillig auf sich nahm und es stets freudig trug. LJ 742.3

Nachdem die Kreuzigungsstätte erreicht war, wurden die Gefangenen an das Marterholz gebunden. Die zwei Übeltäter wanden sich in den Händen derer, die sie ans Kreuz heften sollten; Jesus leistete keinen Widerstand. LJ 744.2

Sobald man Jesus ans Kreuz genagelt hatte, wurde dieses von kräftigen Männern angehoben und mit aller Gewalt in das dafür vorbereitete Loch gestoßen. Dieses Aufrichten des Kreuzes verursachte dem Sohn Gottes die heftigsten Schmerzen.LJ 745.4

die Sonne verhielt ihren Schein, um nicht Zeuge dieses grausamen Geschehens zu sein. Noch um die Mittagsstunde fielen ihre hellen, vollen Strahlen auf das Land; doch urplötzlich schien die Sonne erloschen zu sein. Vollständige Dunkelheit umhüllte das Kreuz wie ein Leichentuch. “Von der sechsten Stunde an ward eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.” Matthäus 27,45. Es war keine Sonnenfinsternis oder irgendeine andere Naturerscheinung, welche diese Dunkelheit bewirkte, die so tief war wie eine Nacht ohne Mond oder Sternenschimmer. Es war ein wunderbares Zeugnis, das Gott gegeben hatte, um den Glauben späterer Geschlechter zu stärken. LJ 754.1

In dieser dichten Finsternis war Gottes Gegenwart verborgen; denn er macht die Dunkelheit zu seinem Gezelt und verbirgt seine Herrlichkeit vor den Augen der Menschen. Gott und seine heiligen Engel waren neben dem Kreuz; der Vater stand bei seinem Sohn. Doch seine Gegenwart wurde nicht offenbar. Hätte seine Herrlichkeit aus der Wolke hervorgeleuchtet, so wären alle menschlichen Augenzeugen ringsumher vernichtet worden. Auch sollte Jesus in dieser erhabenen Stunde nicht durch die Gegenwart des Vaters gestärkt werden. Er trat die Kelter allein — niemand unter den Völkern war mit ihm. Jesaja 63,3. LJ 754.2

Schweigend wartete das Volk auf das Ende dieses furchtbaren Geschehens. Die Sonne schien wieder; nur um das Kreuz Jesu war es noch dunkel. Priester und Oberste schauten nach Jerusalem hin. Da gewahrten sie, daß sich die dunkle Wolke über der Stadt und über der Ebene von Judäa festgesetzt hatte. Die Sonne der Gerechtigkeit, das Licht der Welt, hatte seine segnenden Strahlen dem einst begünstigten Jerusalem entzogen. Die zuckenden Blitze des Zornes Gottes waren nun gegen die dem Verderben geweihte Stadt gerichtet. LJ 756.2

Plötzlich lichtete sich das Dunkel um das Kreuz, und mit heller, lauter Stimme, die durch die ganze Schöpfung zu hallen schien, rief der Herr: “Es ist vollbracht!” — “Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!” Johannes 19,30; Lukas 23,46. Ein blendender Lichtschein umgab jetzt das Kreuz, und das Angesicht des Heilandes leuchtete wie der Glanz der Sonne. Dann neigte Jesus sein Haupt auf die Brust und verschied. LJ 756.3

Mittwoch, 18. September

Von Gott verlassen


Lies Markus 15:33-41. Was sind die einzigen Worte Jesu am Kreuz bei Markus? Was bedeutet der Tod Christi letztendlich für uns alle?

„Als die Finsternis von dem niedergebeugten Geist Christi gewichen war, stellte sich bei ihm erneut das Gefühl der körperlichen Schmerzen ein, und er rief: “Mich dürstet!” Johannes 19,28. Einer der römischen Soldaten, vom Anblick der trockenen Lippen Jesu gerührt, nahm einen Schwamm, steckte ihn auf ein langes Ysoprohr, tauchte ihn in Essig und reichte ihn Christus. Aber die Priester spotteten der Qualen Jesu. Als Finsternis noch die Erde bedeckte, hatten sie sich gefürchtet; doch sobald ihr Schrecken nachließ, begannen sie zu argwöhnen, daß er ihnen immer noch entkommen könne. Seine Worte: “Eli, Eli, lama asabthani?” hatten sie falsch verstanden. Mit beißender Verachtung sagten sie: “Der ruft den Elia.” Die letzte Gelegenheit, Jesu Leiden zu vermindern, ließen sie ungenutzt vorübergehen. Kaltherzig sagten sie: “Halt, laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe!” Matthäus 27,47.49. LJ 755.3

Der Sohn Gottes, fleckenlos und ohne Makel, hing am Kreuz. Sein Fleisch war von den Mißhandlungen zerrissen; die Hände, die er so oft segnend ausgestreckt hatte, waren an das Holz genagelt; die Füße, die unermüdlich Wege der Liebe gegangen waren, hatte man ans Kreuz geheftet; das königliche Haupt war von der Dornenkrone verwundet; die bebenden Lippen waren im Schmerz verzogen! Alles, was der Heiland erduldete — die von seinem Kopfe, seinen Händen und Füßen fallenden Blutstropfen, die seinen Körper quälenden Schmerzen und die unaussprechliche Seelenqual, als der Vater sein Antlitz verbarg —; es ist deinetwegen geschehen! Für dich hat er sich bereitgefunden, jene Schuldenlast zu tragen; für dich hat er die Macht des Todes gebrochen und die Pforten des Paradieses wieder geöffnet. Er, der das stürmische Meer stillte und auf den schäumenden Wogen wandelte, der die Teufel erzittern machte und Krankheiten verbannte, der den Blinden die Augen öffnete und den Toten neues Leben gab, er brachte sich selbst am Kreuz zum Opfer, weil er dich liebt. Er, der Sündenträger, erduldete den Zorn der göttlichen Gerechtigkeit und wurde um deinetwillen selbst “zur Sünde gemacht”. 2.Korinther 5,21. LJ 756.1

Inmitten der schrecklichen Finsternis, scheinbar von Gott verlassen, hatte Jesus den Leidenskelch bis zur Neige geleert. In diesen furchtbaren Stunden hatte er sich auf die ihm vorher gegebene Zusicherung verlassen, daß ihn der Vater annehmen werde. Er kannte das Wesen seines Vaters, und er verstand auch dessen Gerechtigkeit, Erbarmen und große Liebe. In festem Glauben verließ er sich auf Gott, dem er stets freudig gehorcht hatte. Als er sein Leben nun demütig Gott anvertraute, wurde das Gefühl, der Vater habe ihn verlassen, langsam zurückgedrängt. Durch den Glauben wurde Christus Sieger. LJ 757.1

Noch nie hatte die Welt ein derartiges Geschehen erlebt. Die Menge stand wie gelähmt und starrte mit angehaltenem Atem auf den Heiland. Da ballte sich noch einmal dichtes Dunkel über ihnen zusammen, und ein lautes Rollen, gleich einem heftigen Gewitter, drang an ihr Ohr. Es war ein starkes Erdbeben, das die Gegend erschütterte. Die Menschen wurden umhergeworfen; ein wildes Durcheinander entstand. In den umliegenden Bergen zerbarsten die Felsen und stürzten donnernd in die Tiefe; Gräber taten sich auf, und die Toten wurden herausgeworfen. Es schien, als zerfiele die ganze Schöpfung in kleinste Teile. Priester, Oberste, Soldaten, das Kreuzigungskommando und alle andern lagen stumm vor Schreck am Boden. LJ 757.2

Als der Ruf: “Es ist vollbracht!” über die Lippen Jesu kam, wurde im Tempel gerade das Abendopfer dargebracht. Das Christus versinnbildende Opferlamm hatte man hereingeführt, damit es geschlachtet würde. Mit seinem symbolträchtigten, prachtvollen Gewand angetan, erhob der Priester gerade das Messer — ähnlich wie Abraham, als er im Begriff war, seinen Sohn zu töten. Gebannt verfolgt das Volk diese Handlung. Doch da zittert und bebt plötzlich die Erde unter ihren Füßen, denn der Herr selbst nähert sich. Mit durchdringendem Geräusch wird der innere Vorhang des Tempels von einer unsichtbaren Hand von oben bis unten durchgerissen, und das Allerheiligste, in dem Gott sich einst offenbart hatte, liegt den Blicken des Volkes offen. Hier hatte die Herrlichkeit (Schechina) Gottes geweilt, hier hatte Gott seine Macht über dem Gnadenstuhl offenbart. Allein der Hohepriester durfte den Vorhang zurückschieben, der den dahinterliegenden Raum vom übrigen Tempel trennte. Einmal im Jahr ging er dort hinein, um die Sünden des Volkes zu versöhnen. Doch dieser Vorhang ist nun in zwei Teile zerrissen. Der heiligste Ort des irdischen Heiligtums war nicht länger mehr eine geweihte Stätte. LJ 757.3

Donnerstag, 19. September

Zur Ruhe gelegt


Lies Markus 15:42-47. Welche Bedeutung hat das Eingreifen von Josef von Arimathäa, zumal alle Jünger Jesu nirgends zu sehen waren?

Mit dem Tode Jesu schwanden die Hoffnungen der Jünger. Sie schauten auf seine geschlossenen Augenlider und auf das geneigte Haupt, auf sein mit Blut getränktes Haar, seine durchbohrten Hände und Füße, und ihr Schmerz war unbeschreiblich. Bis zum letzten Augenblick hatten sie sich gegen den Gedanken seines Todes gewehrt; sie konnten es nicht fassen, daß ihr Heiland wirklich gestorben war. In ihrem Kummer dachten sie nicht an seine Worte, die gerade dieses Geschehen vorhergesagt hatten. Nichts von alledem, was er ihnen mitgeteilt hatte, konnte sie trösten. Sie sahen nur das Kreuz und das blutende Opfer. Die Zukunft schien ihnen von Hoffnungslosigkeit verdunkelt. Ihr Glaube an Jesus war verlorengegangen, und doch hatten sie den Herrn nie mehr geliebt als jetzt. Nie zuvor hatten sie seine Bedeutung und die Notwendigkeit seiner Gegenwart stärker empfunden als in diesen Stunden. LJ 775.1

Sogar der tote Leib Christi war den Jüngern überaus teuer. Sie wollten ihm gern ein würdiges Begräbnis geben; nur wußten sie nicht, wie sie dies bewerkstelligen sollten. Jesus war wegen Verrats an der römischen Macht verurteilt worden. Wer auf Grund einer solchen Anklage hingerichtet worden war, den schaffte man auf einen eigens für diese Verbrecher angelegten Begräbnisplatz. Der Jünger Johannes war mit den Frauen aus Galiläa an der Kreuzigungsstätte geblieben. Sie wollten den Leib ihres Herrn nicht in den Händen gefühlloser Soldaten und in einem unehrenhaften Grab wissen. Doch sie konnten es nicht verhindern, da sie kein Verständnis von den jüdischen Obersten erwarten durften und auch keinen Einfluß auf Pilatus hatten. LJ 775.2

In dieser Notlage kamen Joseph von Arimathia und Nikodemus den Jüngern zu Hilfe. Beide waren Mitglieder des Hohen Rates und mit Pilatus gut bekannt; dazu waren sie reich und besaßen großen Einfluß. Diese Männer waren entschlossen, dem Leib des Herrn ein ehrenhaftes Begräbnis zu geben. LJ 775.3

Joseph ging kurzentschlossen zu Pilatus und bat ihn um den Leichnam Jesu. Jetzt erst erfuhr Pilatus, daß Jesus gestorben war. Widerspruchsvolle Berichte über die Begleiterscheinungen während der Kreuzigung hatte er schon gehört, doch die Kunde vom Tode Jesu war ihm vorsätzlich verheimlicht worden. Die Priester und Obersten hatten ihn in Bezug auf den Leichnam Jesu bereits vor einem Betrugsversuch der Anhänger Jesu gewarnt. Als er von Josephs Bitte hörte, sandte er deshalb nach dem Hauptmann, der die Wache am Kreuz hatte, und erhielt von ihm die Gewißheit des Todes Jesu. Er ließ sich von ihm auch einen Bericht über die Geschehnisse auf Golgatha geben, der Josephs Darstellung bestätigte. LJ 775.4

Die Bitte Josephs wurde gewährt. Während sich Johannes noch um das Begräbnis seines Meisters sorgte, kehrte Joseph mit der von Pilatus getroffenen Anordnung zurück, den Leichnam Jesu vom Kreuz zu nehmen. Nikodemus beschaffte darauf eine wertvolle, hundert Pfund schwere Mischung von Myrrhe und Aloe zum Einbalsamieren. Dem Angesehensten in ganz Jerusalem hätte zu seinem Tode keine größere Ehre erwiesen werden können. Die Jünger waren erstaunt, daß jene begüterten Obersten dem Begräbnis ihres Herrn die gleiche Anteilnahme entgegenbrachten wie sie selbst. LJ 776.1

Weder Joseph von Arimathia noch Nikodemus hatten sich öffentlich zum Heiland bekannt, als er noch lebte. Sie wußten, ein solcher Schritt würde sie vom Hohen Rat ausschließen; außerdem hofften sie, ihn durch ihren Einfluß in den Beratungen schützen zu können. Eine Zeitlang schienen sie auch Erfolg gehabt zu haben, aber die verschlagenen Priester hatten bald die Schutzmaßnahmen der beiden Ratsmitglieder vereitelt, als sie deren Bewunderung für Christus erkannten. In ihrer Abwesenheit wurde Jesus verurteilt und dem Kreuzestod übergeben. Jetzt, da Jesus gestorben war, verbargen sie nicht länger ihre Zuneigung zu ihm. Während die Jünger zu furchtsam waren, um sich öffentlich als seine Nachfolger zu bekennen, traten Joseph und Nikodemus mutig hervor, um ihnen zu helfen. Die Hilfe dieser beiden wohlhabenden und hochgeachteten Männer war in dieser Stunde äußerst wertvoll. Sie konnten für den toten Meister tun, was den armen Jüngern unmöglich gewesen wäre. Ihr Reichtum und Einfluß schützte die Jünger auch weitgehend vor der Niedertracht der Priester und Obersten. LJ 776.2

Vorsichtig und ehrerbietig nahmen sie Jesu Leichnam eigenhändig vom Kreuz ab. Tränen des Mitleids schossen ihnen in die Augen, als sie seinen geschlagenen und verwundeten Körper betrachteten. Joseph besaß ein neues, in einen Felsen gehauenes Grab. Er hatte es für sich selbst bestimmt; da es aber nahe bei Golgatha gelegen war, bereitete er es nun für die Aufnahme des Leichnams Jesu vor. Dann wurde Jesu Leib zusammen mit den Spezereien, die Nikodemus mitgebracht hatte, sorgfältig in ein Leinentuch eingeschlagen und zum Grabe getragen. Dort streckten die drei Jünger seine verkrümmten Glieder und falteten die zerstochenen Hände auf seiner Brust. Die Frauen aus Galiläa kamen, um sich davon zu überzeugen, daß alles getan worden war, was für den Leichnam ihres geliebten Lehrers getan werden konnte. Dann sahen sie, wie ein schwerer Stein vor den Eingang des Grabgewölbes gewälzt und der Heiland der Ruhe überlassen wurde. Die Frauen waren die letzten am Kreuz gewesen, sie waren auch die letzten am Grabe Christi. Die Abendschatten hatten sich schon auf das Land gesenkt, da weilten sie immer noch an der Ruhestätte ihres Herrn und beweinten in bitteren Tränen das Schicksal dessen, den sie liebten. “Sie kehrten aber um ... Und den Sabbat über waren sie still nach dem Gesetz.” Lukas 23,56. LJ 776.3

Freitag, 20. September

Weiterführendes Studium

Diese Weissagung hat sich in bemerkenswerter Weise erfüllt. Von jeder Beleidigung, Schmach und Grausamkeit, zu der Satan menschliche Herzen anstiften konnte, wurden Jesu Nachfolger heimgesucht. Und dies wird sich immer wieder in gleicher Weise erfüllen, denn das fleischliche Herz ist noch immer dem Gesetz Gottes feindlich gesinnt und will sich seinen Befehlen nicht fügen. Die Welt lebt heute keineswegs mehr in Einklang mit Christi Grundsätzen als in den Tagen der Apostel. Derselbe Haß, der einst das Geschrei “Kreuzige ihn, kreuzige ihn!” hervorbrachte, derselbe Haß, der die Verfolgung der Jünger auslöste, wirkt noch in den Kindern des Ungehorsams. Genau dieser Geist brachte im finsteren Mittelalter Männern und Frauen Gefangenschaft, Verbannung und Tod. Er ersann die qualvollen Foltern der Inquisition, plante und vollführte das Blutbad der Bartholomäusnacht und zündete die Feuer von Smithfield an; mit der gleichen feindseligen Tatkraft wirkt er noch heute in den nicht wiedergeborenen Herzen. Die Geschichte der Wahrheit war immer auch ein Bericht vom Kampf zwischen Recht und Unrecht. Die Evangeliumsverkündigung erfolgte stets unter Widerstand, Gefahr, Verlust und Leiden. WA 85.3